Demonstrationen in Ungarn Neues Gesetzesvorhaben richtet sich auch gegen die Community – Rufe an die EU werden immer lauter
Tausende Menschen demonstrierten erneut in Ungarn – gegen das Pride-Verbot sowie gegen ein neues, geplantes Medien- und NGO-Gesetz. Ziel des Vorhabens ist es, aus dem Ausland (mit-)finanzierte Medien und Nichtregierungsorganisationen streng zu regulieren. Das könnte gerade auch für viele LGBTIQ+-Verbände das Ende bedeuten, ähnlich wie zuletzt in Russland. Derweil rufen die Organisatoren des Budapest Pride nun sowohl EU-Politiker wie auch Menschen aus der Community dazu auf, trotz des Verbotes Ende Juni am CSD teilzunehmen.
Zensur von Kritikern und LGBTIQ+
Die Angriffe auf die Community werden Schritt für Schritt mehr, nach dem Pride-Verbot könnte das neue Gesetz die Regierung ermächtigen, all jene Organisationen auf eine schwarze Liste zu setzen, die aus ihrer Sicht „die Souveränität Ungarns gefährden, indem sie mit ausländischen Geldern Einfluss auf das öffentliche Leben nehmen.“ Schon die Beratung oder Hilfestellung von LGBTIQ+-Menschen könnte eine solche „Einflussnahme“ darstellen. Ähnliches könnte künftig im Bereich HIV greifen. Die Verbände auf der schwarzen Liste bräuchten dann eine spezielle Genehmigung der Regierung, um Gelder zu erhalten und damit arbeiten zu dürfen.
Kritiker sprechen von einem klaren Fall von Zensur, man wolle wie in Russland sowohl Regierungsgegner wie auch ansonsten unliebsame Stimmen zum Schweigen bringen. Da die Fidesz-Partei von Regierungschef Viktor Orbán eine große Mehrheit im Parlament hat, dürfte die Abstimmung über das Gesetzesvorhaben Mitte Juni reine Formsache sein.
„Heuchelei“ der EU-Kommission
Kritik kommt allerdings auch an dem Verhalten der EU-Kommission auf, die bis heute nicht auf das Pride-Verbot reagiert hat, trotz zahlreicher nationaler und internationaler Proteste und zweier Petitionen mit inzwischen rund 130.000 Unterzeichnern. Besonders entrüstet zeigt sich das Team des Budapest Pride sowie queere Organisationen wie All-Out von der Anweisung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an ihre Kommissare, nicht zum Pride nach Ungarn zu fahren.
Laut Viktória Radványi, Vorsitzende der Budapest Pride, ist das ein „schockierender Skandal“. Laut einem Bericht von Euractiv wollte von der Leyens Büro Orbán „nicht provozieren“, so Radványi, die dazu anmerkt: „Das alles, während sie auf Social Media behauptet, Europa und sie selbst seien Verbündete von queeren Personen, die stolz dafür einstehen, wer sie sind und wen sie lieben. Und jetzt untersagt sie heimlich konkrete Solidarität mit den bedrohten LGBTIQ+-Menschen in Ungarn. Das ist Heuchelei auf höchstem Niveau!“
Aufruf zur Pride-Teilnahme
Radványi und ihr Team sowie die Organisation Freie Ungarische Botschaft fordern daher jetzt alle aus der Community sowie EU-Politiker dazu auf, Stellung zu beziehen und Ende Juni zum Budapest Pride anzureisen. Vorab werde bereits ein Rechtsbeistand durch die Kooperation mit ungarischen Menschenrechts-NGOs sowie auch eine weitere Unterstützung bei möglichen Geldstrafen durch einen Solidaritätsfonds erarbeitet.
„Je mehr Menschen aus ganz Europa kommen, desto sicherer wird es für alle und desto stärker das Signal gegen Orbáns Repression!“, so Dániel Fehér von der Freien Ungarischen Botschaft. Und Radványi vom Budapest Pride ergänzt: „Die LGBTIQ+-Community existiert seit Beginn der Menschheit: wir waren schon länger hier und werden länger bleiben als Politiker in Anzügen, die mit Ausgrenzung Wahlkampf machen.”
„Niemand in der EU ist sicher!“
Unterstützung kommt auch von Budapests Oberbürgermeister Gergely Karácsony: „Der Budapest Pride kann nicht verboten werden. Denn Freiheit und Liebe können nicht verboten werden. Wenn ein Pride in einem EU-Mitgliedstaat verboten werden kann, dann ist niemand in der EU sicher!“ Die Rechtsexperten der ungarischen Organisationen Hungarian Helsinki Committee erklärten dabei zudem, dass für ausländische Teilnehmer keine Gefängnisstrafe droht sowie keine Eintragung ins polizeiliche Führungszeugnis, zudem könnten EU-Bürger zumeist auch nicht mittels Gesichtserkennung identifiziert werden – je mehr teilnehmen, desto geringer werde außerdem die Wahrscheinlichkeit. Das Management sowie das Sicherheitsbriefing läuft über WeAct.
Kritik von Linke queer
Die vier Bundessprecher der Linken queer haben inzwischen bereits erklärt, zum Pride am 28. Juni anreisen zu wollen. Zudem übt der Verein auch Kritik an den aktuellen Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amts: „Es müsste eine Selbstverständlichkeit sein, dass das Auswärtige Amt allen Teilnehmenden aus Deutschland vollständigen konsularischen Schutz in Problemfällen garantiert. Stattdessen fordert das Auswärtige Amt anlässlich des Budapest-Pride in Ungarn aktiv dazu auf: ´Meiden Sie größere Demonstrationen und Menschenansammlungen, insbesondere, wenn diese ohne behördliche Genehmigung stattfinden.´ Ein solcher Reise- und Sicherheitshinweis kann – und das weiß das Auswärtige Amt sehr genau – im Schadensfall negative Folgen haben, insbesondere für den Versicherungsschutz. Mit seinem Sicherheitshinweis spielt das Auswärtige Amt damit Orban in die Hände, weil das individuelle Risiko von Teilnehmenden aus Deutschland am Budapest-Pride durch das Auswärtige Amt aktiv und bewusst erhöht wird. Richtig wäre es hingegen, auf die Grundrechte, hier insbesondere auf das Recht der Versammlungsfreiheit, hinzuweisen, und allen Teilnehmenden den vollen konsularischen Schutz zuzusagen und sich entsprechend vorzubereiten. Die österreichische Bundesregierung beispielsweise hat in ihren Reisehinweisen explizit keine Aufforderung zur Nicht-Teilnahme am Budapest-Pride.“