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20 Jahre IDAHOBIT
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20 Jahre IDAHOBIT Besonderes Jubiläum des Aktionstages - doch was ändert sich wirklich?

ms - 16.05.2025 - 16:00 Uhr
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Heute begehen wir zum zwanzigsten Mal den IDAHOBIT, den Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit. Hass und Hetze gegenüber queeren Menschen sind dabei bis heute ein großes Problem, von Jahr zu Jahr steigen die Fallzahlen bei der Hasskriminalität in Deutschland weiter an, zuletzt im Jahr 2023 um 65 Prozent innerhalb eines Jahres. 

65 Angriffe jeden Tag

Gerade in einigen Ballungszentren der Community wie Hamburg, Berlin oder Köln vielen die Zahlen mitunter noch dramatischer aus. Insgesamt wurden binnen eines Jahres fast 2.400 Straftaten gegen Schwule, Lesben, Bisexuelle und queere Menschen verzeichnet. Dabei ist allerdings auch klar: 90 Prozent der Fälle werden gar nicht erst angezeigt, wie Studien der Europäischen Grundwerteagentur aufzeigen. Realistisch hochgerechnet kann also von fast 24.000 Straftaten Jahr für Jahr gegen die Community ausgegangen werden, das sind mehr als 65 Vorfälle täglich. 

Das Schweigen und die Scham darüber, Opfer geworden zu sein, drückt sich nicht nur in der extrem hohen Dunkelziffer aus, sondern auch in den stetig steigenden Fallzahlen bei psychischen Erkrankungen und Depressionen in der Community, gerade und insbesondere bei jungen queeren Menschen. Dazu verbreitet sich das Gefühl von Unzufriedenheit gerade in der jungen Generation Z rasant, jeder Zweite fühlt sich inzwischen einsam (Studie Bertelsmann-Stiftung 2024) – auch das eine Folge von Anfeindung und Hass. Wie geht es den jungen Menschen in unserer Community also wirklich? Und was kann der IDAHOBIT tatsächlich bewirken? SCHWULISSIMO fragte nach bei Oska Jacobs aus dem Vorstand sowie Nick Hampel, stellevertretender Geschäftsführer des queeren Jugendnetzwerkes Lambda in Deutschland. 

Wie blickt ihr in diesem Jahr auf den Aktionstag IDAHOBIT? Welche Gedanken oder Gefühle gehen euch dabei durch den Kopf?

Oska: Der 17. Mai ist ein, auch für uns, besonderer Tag. Gerade in diesem Jahr, in dem ein Wechsel der Regierung in Deutschland und ein allgemeiner Rechtsruck zu beobachten sind, ist es so wichtig wie nie zuvor, auf Queerfeindlichkeit aufmerksam zu machen. Ich glaube, dass viele Menschen, die sich nicht so intensiv mit der queeren Community auseinandersetzen, nur die Fortschritte im Blick haben und vergessen, dass Queerfeindlichkeit nicht weniger aktuell geworden ist. 

Der Aktionstag findet jährlich seit 2005 statt, was hat sich eurer Meinung nach seit dieser Zeit verändert oder verbessert? Wo würdet ihr sagen, sind wir wirklich weitergekommen und wo nicht?

Oska: Seit 2005 hat sich, gerade auf rechtlicher Ebene, definitiv einiges geändert. Seit 2017 gibt es in Deutschland die Ehe für alle, seit letztem Jahr das Selbstbestimmungsgesetz. Auch in vielen anderen Ländern hat sich die rechtliche Lage für Queers zum Positiven geändert. Das heißt jedoch nicht, dass diese Entwicklung auch in der Bevölkerung angekommen ist. Gerade auf struktureller Ebene und in ländlichen Regionen ist Queerness noch lange nicht als Selbstverständlichkeit etabliert. Und wie man an den Entwicklungen zum Beispiel in Georgien oder auch den USA sehen kann, erleben wir gerade besorgniserregende Rückschritte. Nebst vielen anderen queerfeindlichen Maßnahmen strich US-Präsident Donald Trump schon kurze Zeit nach seinem Amtsantritt die finanzielle Unterstützung für geschlechtsangleichende Maßnahmen an Kindern und Jugendlichen. Das ist natürlich gerade für uns als Jugendverband schockierend. 

Der Hass und die Angriffe auf die Community sind allerdings auch in Deutschland in den letzten Jahren stark angestiegen, insbesondere davon betroffen sind Jugendliche und junge Erwachsene mit LGBTIQ+-Hintergrund. Ihr seid mit vielen jungen Menschen aus der Community in Kontakt, wie nehmen sie diese Entwicklung der letzten Jahre wahr?

Oska: Die Straftaten nehmen tatsächlich zu, allerdings steigt auch die Meldebereitschaft, Straftaten mit queerfeindlichem Hintergrund anzuzeigen. Das ist eine positive Entwicklung. Nach unseren Erfahrungen blicken viele queere junge Menschen dennoch mit einem verunsicherten Gefühl in die Zukunft und fühlen sich mit ihren Belangen nicht in politische Prozesse einbezogen, speziell trans- und nichtbinäre Jugendliche. Viele junge Menschen haben das Gefühl, dass politische Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden und ihre Bedürfnisse zu wenig mit einbezogen werden. 

Wenn ich mich an die Aktionen zum IDAHOBIT in den letzten Jahren zurückerinnere, wurde gerade seitens der Politik viel versprochen. Man zeigte sich auf Community-Veranstaltungen, lächelte in Kameras, versprach viel, doch irgendwie wurde dann schlussendlich trotzdem eher weniger davon umgesetzt. Wie blicken junge Community-Menschen auf diese alljährlichen Rituale, an deren Ende offenbar nicht viel bei rumkommt? Oder salopp gesagt: Fühlt sich die junge LGBTIQ+-Community verarscht?

Oska: Ja, das ist in Teilen schon das, was ich in der jungen Community erlebe, gerade vom Selbstbestimmungsgesetz wurde sich mehr erhofft und auch die Strafverfolgung sollte verbessert werden. Ich sehe den IDAHOBIT jedoch nicht nur als Reminder an die Politik, sondern eben auch direkt als Erinnerung an die Bevölkerung, das eigene Handeln zu hinterfragen und aktiv gegen Diskriminierung einzustehen.

Einige queere Verbände sowie auch Menschen aus der Community blicken in Deutschland mit Skepsis oder Sorge auf die kommenden Jahre unter einem wahrscheinlichen Bundeskanzler Friedrich Merz. Erreichtes scheint in Gefahr, neuer Fortschritt im Bereich LGBTIQ+ ist fraglich. Wie blickt ihr in die Zukunft? Und wie die junge queere Generation?

Nick: Viele junge queere Menschen blicken mit Sorgen auf die Zukunft. Queerness ist leider immer noch ein sehr politisches Thema. Als queere Personen sind wir davon abhängig, dass Menschen in Machtpositionen – das betrifft vor allem Politiker*innen, aber eben auch Tech-Milliardäre – sich mit uns solidarisieren und sich für queere Rechte, Menschenrechte, einsetzen. Dieses Gefühl kann sehr beklemmend sein, wenn du weißt, dass es immer mehr queerfeindliche Menschen gibt, die in Entscheidungspositionen sitzen. Wir versuchen uns von dieser Zukunftsangst nicht komplett einnehmen zu lassen, sondern suchen nach Lösungen und Ansätzen, um queere, junge Menschen auch weiterhin zu empowern und uns für mehr queere Rechte einzusetzen.

Kernziel des Aktionstages ist es, auf die Diskriminierung von queeren Menschen hinzuweisen. Blicken wir auf die jüngsten Statistiken, erleben LGBTIQ+-Personen diese noch immer praktisch überall, im Job wie im Gesundheitsbereich, in der Schule wie auch abends im Club oder insbesondere im digitalen Raum. Wo ist eurer Erfahrung nach Diskriminierung gegenüber jungen Menschen besonders stark ausgeprägt? 

Oska: Gerade junge Menschen erleben noch immer viel Ausgrenzung in Bildungsstätten, speziell an Schulen. Zum einen aufgrund von Diskriminierung durch Mitschüler:innen, aber auch durch Unwissenheit der Lehrkräfte. Hier ist eine Reform der Lehrpläne, die queere Lebensrealitäten mit einbezieht, dringend erforderlich – und zwar explizit in allen Schulformen. Für viele trans- und nichtbinäre Jugendliche ist es eine große Hürde, sich in der Schule zu outen und der Umgang mit Pronomen und selbstgewähltem Namen obliegt der Einstellung der Lehrkräfte. Auch der Umgang mit trans- und nichtbinären Jugendlichen im Sportunterricht ist unklar und variiert von Schule zu Schule. 

Ihr habt im letzten Jahr die Aktion „lambda space“ gestartet, das erste digitale Jugendzentrum in der Bundesrepublik, das vor allem auch queere Jugendliche auf dem Land erreichen soll. Gab es hier im ländlichen Deutschland denn in den letzten Jahren positive Entwicklungen oder liegt immer noch viel im Argen, wenn es um Akzeptanz und Gleichberechtigung geht? 

Nick: Der ländliche Raum ist leider immer noch nicht so weit wie die städtischen Gebiete, was das Wissen und die Akzeptanz von queeren Lebensrealitäten angeht. Die Nachfrage nach unserem digitalen queeren Jugendzentrum ist besonders in ländlichen Gebieten sehr groß. Hier gibt es noch immer zu wenig Angebote für queere junge Menschen, an denen sie sicher sie selbst sein können. Neben dem Engagement von uns und unseren Landesverbänden für flächendeckende queere Jugendangebote, möchten wir mit lambda space versuchen, allen jungen queeren Menschen Zugang zu einem Raum zu ermöglichen, an dem sie sich sicher und verstanden fühlen. Keine leichte Aufgabe – aber wir geben unser Bestes!

So wichtig und richtig ein neues Angebot wie ein digitales Jugendzentrum für LGBTIQ+-Menschen ist, angesichts der fortlaufenden Bemühungen um eine allgemeine Verbesserung und breitere Akzeptanz in der Gesellschaft, ist es nicht ein Stück weit auch ein Armutszeugnis für uns alle, dass euer Projekt 2025 so dringend nötig ist? Macht es euch im Team nicht auch manchmal wütend?

Oska: Doch ja, auf jeden Fall. Besonders, da mit der richtigen Förderung so viel mehr Dinge möglich wären. Dass junge Menschen da so wenig priorisiert werden, ist schon manchmal frustrierend. Aber wir empfinden es auch als wichtig, unsere Energie auf die Weiterentwicklung unserer Angebote für queere Menschen zu verwenden und auf Ideenfindung, wie wir zum Beispiel die Einsamkeit queerer junger Menschen verringern können. Trotzdem ist es natürlich auch ein Teil unserer Arbeit, aktuelle Missstände immer wieder zu reflektieren und anzuklagen.

Das Datum des IDAHOBITs geht zurück auf den 17. Mai 1990, der Tag, an dem die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität von der Liste der Krankheiten gestrichen hat. 35 Jahre später wird jedem dritten jungen Homosexuellen in Deutschland (Studie BZgA) trotz eines Verbots von Konversionstherapien seit 2020 auch heute noch nahegelegt, seine sexuelle Orientierung zu ändern (29%) oder zu unterdrücken (32%). Homosexualität als therapierbare Krankheit ist noch immer in vielen Köpfen. Wie und wann gelingt uns endlich ein gesamtgesellschaftliches Umdenken? Braucht es dazu am Ende vor allem die junge queere Generation Z?

Oska: Meiner Meinung nach ist es wichtiger denn je, dass alle Generationen zusammenwirken und sich nicht an Meinungsunterschieden aufhalten. Ich glaube, es wäre unverhältnismäßig, die Verantwortung nur bei der derzeitigen Generation zu suchen, denn unsere Gesellschaft und politische Landschaft wird von allen Altersgruppen mitbestimmt. Aber es liegt vor allem in der Hand der jüngsten Generation, das Land zu gestalten und richtungsgebend voranzugehen, in welcher Gesellschaft wir eigentlich Leben wollen. Die Aufgabe älterer Generationen liegt dann vor allem darin, zuzuhören, den Mut zu haben,  Machtpositionen abzugeben und über festgefahrene Strukturen zu reflektieren.

Oska, Nick, vielen Dank euch zwei für das Gespräch!

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