Ausgequetscht Thorsten Schorn
Seine Stimme kennen alle von „Shopping Queen“, „Prince Charming“ und aus dem Radio (1LIVE, WDR 2). Im Fernsehen ist er der Spielleiter von „Denn sie wissen nicht was passiert“ und war Außenreporter bei „stern TV“ und „Zimmer frei“. Und jetzt im Mai ist er zum zweiten Mal Kommentator beim Eurovision Song Contest.
Ich glaube, stimmlich gesehen, warst du - wie eine Postwurfsendung – schon in jedem deutschen Haushalt, oder?
Ja, es gibt eigentlich keinen Tag, an dem du den Fernseher anmachst ohne mich zu hören. Ich liebe es, Programme hauptsächlich mit meiner Stimme zu gestalten. Und im Radio habe ich als Stilelement, als Ausdrucksform sowieso nur die Stimme, um meine Persönlichkeit zu zeigen. Radio ist eigentlich das reizvollste Medium, weil es so fokussiert ist, auf das, was du sagst und wie du etwas sagst.
Warst du ein „viel-sagendes" Kind, eventuell in der Schule schon Klassensprecher?
Ich war Klassensprecher und später sogar auch Schülersprecher. Ich habe schon als Kind meine Begeisterung für Dinge sehr gerne geteilt. Meine Großtante hat mich immer gebremst und gesagt: „Thorsten, du willst doch auch, dass wir uns beim nächsten Mal auf deinen Besuch freuen?!“
Hat dich das gekränkt, denn das heißt ja mehr oder weniger „Sei jetzt mal ruhig!“?
Nein gar nicht. Ich hatte schon als Kind ein großes Mitteilungsbedürfnis und gerne unterhaltsame, spannende Geschichten erzählt. Der Unterschied heute in meinem Job ist, dass mich mein Publikum leiser drehen oder sogar ausschalten kann. Das gehört dazu. Mich zu kränken ist eigentlich nicht möglich.
Bevor du die Nachfolge von Peter Urban angetreten bist, warst du 2011 Reporter beim ESC in Düsseldorf, als Lena zum zweiten Mal antrat.
Stimmt, und zwar mit Sabine Heinrich zusammen. Gastgeberland des ESC zu sein, ist wirklich ein besonderes Ereignis. Ich freue mich darauf, wenn das irgendwann mal wieder sein wird. Ich habe aber auch schon um die Jahrtausendwende beim früheren Jugendradio hr-xxl mit meinem Kollegen Tim Frühling Sondersendungen zum ESC gemacht. Da habe ich mit einem sehr spärlichen Equipment – nämlich nur mit meinem damaligen Klapp-Handy - Liveschalten vom Vorentscheid gemacht. Also, die Leidenschaft für den ESC war bei mir schon immer da. 1982, als Deutschland mit Nicole und „Ein bisschen Frieden“ gewann, da war ich sechs Jahre alt. Ich habe triumphiert wie vermutlich andere Jungs in diesem Alter, wenn Deutschland Fußballweltmeister wird. Mich hat auch schon immer die Punktevergabe fasziniert, mit den legendären zwölf Punkten, twelve Points, douze Points als höchstem Wert.
Wie aufgeregt warst du dann, als die Zusage kam, Peter Urbans Erbe anzutreten?
Die finale Zusage kam lustigerweise an meinem 48. Geburtstag - ein schönes Geschenk. Für den NDR bin ich seit ein paar Jahren Kommentator beim Deutschen Radiopreis, dessen Gala live in rund 60 Radiostationen übertragen wird, was ich als „einen Hauch von Eurovision Song Contest“ bezeichnet habe. Spätestens da war allen mein Interesse klar, wenn Peter eines Tages seinen Stuhl freimacht. Richtig spannend wurde es dann in Malmö (2024). In dieser riesigen Arena zu sein, oben unter der Hallendecke in der Kommentatoren-Box, und nach der Eurovisions-Fanfare auf eine Taste zu drücken und zu wissen, es geht los, das hören jetzt alle, war schon ein ganz besonderer Moment.
Angst, mit Peter Urban verglichen zu werden, hatte ich überhaupt nicht. Angst halte ich sowieso für keinen guten Begleiter im Leben. Peter und ich kennen und schätzen uns gegenseitig sehr. Uns beide freut, wie gut ich als sein Nachfolger angenommen wurde. Am Tag vor dem ESC-Finale treten wir beide übrigens gemeinsam als „Team Eurovision“ im „Quizduell-Olymp“ an.
Wie sehen deine Tage bis zum ESC in Basel aus?
Am 3. und 10. Mai machen wir noch zwei Live-Sendungen von „Denn sie wissen nicht, was passiert“ und am nächsten Morgen geht es dann mit dem Zug nach Basel. Von Köln aus knappe vier Stunden - sollte ich zu Hause etwas vergessen haben, könnte ich es direkt schnell holen. In Basel schaue ich mir sämtliche Proben an. Die meisten Songs im Finale sehe ich dort zum achten Mal und kann fast schon mitsingen.
Was sagst du denn zum deutschen Beitrag „Baller“?
Ich mag den Song sehr, er ist modern und ich freue mich, dass Abor & Tynna damit für uns antreten - übrigens zum ersten Mal seit 2007 wieder auf Deutsch. Ein Ohrwurm: einmal gehört, bleibt der Song sofort im Kopf. Ich bin zuversichtlich, dass die Nummer auch in Europa gut ankommt. Klasse auch, dass wir in diesem Jahr mit der „Chefsache ESC“ und Stefan Raab als Mentor in vier aufwändigen Prime-Time-Shows den deutschen Beitrag ermittelt haben. Gerade, wenn man schaut, mit welch großen Festivals andere Länder das mitunter machen, war der diesjährige XXL-Vorentscheid dem ESC absolut angemessen.
Aber der Song bekam auch einige Kritik…
Musik ist Kunst und die kann nicht immer allen gefallen. Ich drücke die Daumen, dass Abor & Tynna am 17. Mai einen guten Tag haben und mit viel Freude ihren Song performen. Im Finale stehen 26 höchst unterschiedliche Songs, es gibt Favoriten und Außenseiterkandidaten. Erst am Finalabend werden wir wissen, wen in Summe die Jury und das TV-Publikum ganz vorne sehen und auf welchen Song sich letztendlich ganz Europa einigen kann. Da hat es schon oft Überraschungen gegeben.
Hat denn ein Song in deutscher Sprache überhaupt Chancen?
Viele Teilnehmer haben in ihrer Muttersprache gesungen und zuletzt auch gewonnen: 2021 Måneskin (Italien), 2022 Kalush Orchestra (Ukraine), 2017 Salvador Sobral (Portugal). Für unsere Ohren klingen Sprachen wie Französisch oder Italienisch natürlich besonders schön: man könnte vermutlich eine Bedienungsanleitung für einen Staubsauger singen und es würde sich großartig anhören. Die deutsche Sprache ist da ein bisschen härter. „Baller“ wird übrigens nicht das einzige deutschsprachige Lied sein. Für Finnland tritt Erika Vikman mit dem Song „Ich komme …“ an, was auch immer sie damit meint. ;-)
Ich dachte du konterst mit Nicole, die 1982 mit „Ein bisschen Frieden“ gewann. Sie sang aber auch „A little peace“. Spätestens wenn Tynna den Text „Ich will den Weltuntergang“ singt, werden doch die „5 vor 12“-Sympathisanten Amok laufen?
Ich sehe „Baller“ als Trennungslied, da bist du mit deinen Gefühlen komplett durcheinander. Letztendlich geht es um Liebe, da darf ich nicht jeden metamorphischen Begriff wortwörtlich nehmen. Der Schmerz bei einer zerbrochenen Liebe kann sich nun mal wie ein Weltuntergang anfühlen.
Gut erklärt, hat Politik beim ESC überhaupt etwas zu suchen?
Der ESC selbst ist erstmal ein unpolitischer Musikwettbewerb, der aber eben eine große gesellschaftliche Bedeutung hat: Es ist ein riesiger Event, den die halbe Welt verfolgt. Es lässt sich nicht ausschließen, dass politische Themen am Rande immer wieder reinspielen.
Jahrelang haben sich Austria und Germany Zero Points zugeschoben. Was geschieht in diesem Jahr, wenn ein österreichisches Duo für Germany auftritt?
Ich frage „Seid’s narrisch?“, wenn es keine Punkte aus Österreich gibt. Die sollten uns ja wohl sicher sein, Abor und Tynna kommen schließlich aus Wien. Letztendlich gewinnt den ESC, wer am besten performt. Dass Deutschland unbeliebt sei, ist ja Quatsch. Mit Lena haben wir 2010 aus allen teilnehmenden Nachbarländern Punkte bekommen.
Jetzt mal Mut zum Outing: Wer ist denn dein Favorit?
Natürlich habe ich eigene Favoriten, halte mich als Kommentator allerdings zurück. Mein persönlicher Geschmack soll bei dem Job keine Rolle spielen.
Du hast dich schon mal geoutet: 2014 bei 1LIVE mit den Worten: „Ich bin Thorsten Schorn und schwul und tschüss!“. Dazu gehört Mut. Wie war die Reaktion bei den Hörern?
Die ausnahmslos positiven Rückmeldungen hatten mich in ihrer Menge echt überrascht. Wir hatten damals im Programm ausführlich über das Coming-Out von Thomas Hitzlsperger berichtet und ich dachte mir, dass das doch eine schöne Gelegenheit sei, sich zum Ende der Sendung wie ein Trittbrettfahrer einfach hinten dran zuhängen. Damit war dann von meiner Seite auch alles gesagt. Ich bin niemand, der das ständig vor sich herträgt.
Du bist ja verheiratet, führt ihr eine Fernbeziehung: Du im TV, er vor der Glotze?
Falls seine Sehnsucht zu groß wird, braucht er nur das Radio oder den Fernseher einzuschalten und kann mich zu Hause hören. Ich vermute nur, dass die Geräte meistens aus sind. Ich bin sehr gerne mit meinem Mann verheiratet, weil ich es auch für eine gesellschaftliche Errungenschaft halte, dass dies überhaupt geht. Man setzt damit ein Zeichen und macht es immer mehr zu etwas Selbstverständlichem und Alltäglichen. Die Kinder unserer Freunde finden überhaupt nichts Besonderes daran, wenn zwei Männer zusammen sind. Das kennen sie schließlich von uns. Für sie ist es das Normalste der Welt.
Wie kommt es, dass aus den verstaubten „Liederwettbewerben der 60er Jahre“ das größte schwule Showevent wurde?
Verstaubt ja allenfalls im Rückblick, eigentlich ist der Eurovision Song Contest doch in jedem Jahr ein zeithistorisches, popkulturelles Dokument, wie Europa gerade tickt. Ich glaube, es ist ein bisschen auch der Wettbewerbscharakter, der neben allem Glamour, dem grenzüberschreitenden Gemeinschaftsgefühl und natürlich dem auf der Bühne verkörperten „Hier darfst du sein, wie du bist“, den ESC für die schwule Community so anziehend und magisch macht.
Was sind deine drei absoluten ESC-Hits?
Die wechseln ständig. Nachts auf der leeren A3 wurde ich mal geblitzt, als ich laut „Cha Cha Cha“ (Finnland 2023) gehört habe. Aus dem letzten Jahr hat es „Zorra“ von Nebulossa auf meine Playlist geschafft, leider nur Platz 22 für Spanien. Und bei uns zu Hause läuft immer mal wieder „Gente di Mare“, schließlich ist mein Mann halber Italiener.
Wie siehst du die Zukunft des ESC?
Den ESC wird es immer geben. Die ursprüngliche Idee einer Fernsehsendung für ganz Europa, funktioniert nun schon seit fast 70 Jahren. Und auch dank der sozialen Medien wird die Aufmerksamkeit von Jahr zu Jahr größer. Der ESC ist ein einzigartiger Musikwettbewerb, der in einer spektakulären Samstagabendshow endet.